Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e.V. hat eine Stellungnahme zum „Diskussionsentwurf zur 32. Betäubungsmitteländerungsverordnung (BtMÄndVO) – Übersicht – Änderung der betäubungsmittelrechtlichen der Vorschriften zur Substitutionstherapie Opioidabhängiger“ am 10.04.16 verfasst. Da die hier angeschnittenen Fragestellungen auch die Behandlung in Hamburg wesentlich tangieren, veröffentlichen wir diesen wichtigen Beitrag mit freundlicher Genehmigung der DGS.

 

Stellungnahme der DGS – Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin zur flexiblenVerordnung von Substitutionsmedikamenten (Rezeptdauer und TH-Regelung)

Änderungsvorschlag der DGS von 2012

Verlängerung der Rezeptgültigkeit/Verordnungsdauer bei langjährigen und stabilen Patienten (Kriterium entw. 1/2-Jahresprüfung auf Stabilitätskriterien oder 5-Jahresprüfung der KV) auf 2–4 Wochen, evtl. mit Aushändigung von jeweils nur einer Wochendosis. Begründung: Seit den frühen 1980er Jahren wird die Gruppe der ersten Patienten von Dole und Nyswander in New York in einem speziellen MMMT – Medical Methadone Maintenance Treatment Programme behandelt. Stabile Patienten erhalten ihr Substitutionsmedikament Methadon in Tablettenform für vier Wochen ausgehändigt. Dieses spezielle Programm wurde mittlerweile von einigen anderen us-amerikanischen Zentren übernommen.

In Deutschland blicken wir jetzt auf eine ebenso lange Zeit der Substitutionsbehandlung wie unsere amerikanischen Kollegen in den 1980er Jahren zurück und stellen fest, dass ein gewisser Anteil unserer Patienten nach allen Kriterien ebenfalls als stabil behandelt bezeichnet werden darf und es eine Reihe berufliche, medizinische und persönliche Gründe gibt, die Rezeptgültigkeit bzw. die TH-Regelung flexibler zu gestalten.

 

Diskussionsentwurf BMG

„Unterschiedliche Positionen bestehen bei der sog. Take-Home-Regelung: Von den Fachkreisen der Suchtmedizin wurde eine Ausweitung auf bis zu 30 Tage Take-Home mit fraktionierten Angabe der benötigten Menge des Substitutionsmittels in der Apotheke begründet. Dem stehen kritische Einschätzungen gegenüber, die Take Home für maximal 7 Tage (so wie im geltenden Recht) beizubehalten. Der vorliegende Vorschlag enthält als Kompromissangebot ein „7 Tage Take Home“ als Regelfall bei stabilen Patienten und 30 Tage als Ausnahmefall für besondere Konstellationen (auch im Inland!) als Möglichkeit zur Flexibilisierung. Dies soll im Fachgespräch diskutiert werden.“ (Erläuterungen des BMG zum Diskussionsentwurf)

 

㤠5 Verschreiben zur Substitution (5)3.

9 Sobald und solange der substituierende Arztes zu dem Ergebnis kommt, dass eine Überlassung des Substitutionsmittels zum unmittelbaren Verbrauch nicht mehr erforderlich ist, darf er dem Patienten ein Substitutionsmittel gemäß der Feststellungen nach Absatz 12 Satz 1 Nummer 3 Buchstabe b zur eigenverantwortlichen Einnahme verschreiben:

a) grundsätzlich über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge,

b) ausnahmsweise über die bis zu 30 Tagen benötigte Menge.

10 Sofern der Patient diese Verschreibung nicht für den Fall eines Auslandsaufenthaltes ausgehändigt bekommt, muss der substituierende Arzt unmittelbar auf der Verschreibung patientenindividuell angepasste Zeitpunkte festlegen, an denen die Abgabe lediglich von abgeteilten Mengen des verschriebenen Substitutionsmittels in der beliefernden Apotheke an den in der Verschreibung bezeichneten Patienten erfolgt.“ (Diskussionsentwurf BMG 2016)

 

Welche Patienten sind geeignet?

Wer über längere Zeit keinen die Behandlung gefährdenden Konsum anderer psychoaktiver Substanzen betreibt, wer stabil behandelt einen Beruf ausübt, der einen regelmäßigen wöchentlichen Termin in der Substitutionspraxis ausschließt (s.u.), wem aus medizinischen Gründen (Dialyse, schweres Rheuma u.a.) ein wöchentlicher Termin in der Praxis nicht zugemutet werden kann, wer aus familiären Gründen (z.B. pflegebedürftige Angehörige) nicht wöchentlich die Substitutionspraxis aufsuchen kann, lediglich um ein neues Rezept abzuholen, wer aus familiären oder beruflichen Gründen an wechselnden Orten lebt (interkulturelle Familien, patch-work-Familien, international beschäftigte Berufstätige), wer in ländlichen Gebieten in größerer Entfernung von der Substitutionspraxis lebt (Sonderfall: Substitutionspatienten auf friesischen Inseln, deren Arzt auf dem Festland praktiziert)

 „Darüber hinaus würde es aber auch ein Stück Normalisierung und Entstigmatisierung bedeuten, wenn man stabilen Patienten etwas länger ihr Substitut in Eigenverantwortung überlassen könnte, wie es bei Schmerzpatienten mit BtM ja auch gehandhabt wird“, lautet der Kommentar eines substituierenden Kollegen, der damit die Meinung der Mehrzahl unserer Mitglieder wiedergibt. Betont wird auch, dass Kontrollmechanismen gefunden werden müssen, ein Abfließen der TH-Dosen auf den Schwarzmarkt zu verhindern.

 

Welche Berufe üben unsere Patienten aus? Eine Auswahl (DGS-Umfrage April 2016)

Unsere Patienten sind berufstätig im 3-Schichten-System, sie sind als Techniker oder mit akademischen Berufen jederzeit abrufbar für Kundenbetreuung im In-und Ausland, sie arbeiten als Zug-und Flugbegleiter oder als Reiseleiter im In-und Ausland, sie nehmen als Freiberufliche oder Angestellte an Fortbildungen teil oder müssen Dienstreisen unternehmen, sie sind als Montagearbeiter im Baugewerbe und auf Messen tätig, oder sie üben Berufe aus wie Fernfahrer, Industrietaucher, Personenschützer, Schäfer, Bergführer, Escortkräfte, Testfahrer, Koch auf Kreuzfahrtschiffen…

 

Internationales Recht

Werner Sipp, Präsident des INCB – International Narcotics Control Board und zuständiger Ministerialer im BMG zum Zeitpunkt der Formulierung des ersten Substitutionsrechts in Deutschland Anfang der 1990er Jahre in einer persönlichen Mitteilung:

„Die internationalen Suchtstoffabkommen enthalten keine konkreten Regelungen für die Substitutionstherapie, somit auch nichts Konkretes zur Länge der Mitgabe. Es gibt allerdings 3 allgemeine Grundsätze, die bei der gesetzlichen Ausgestaltung zu beachten sind:

 1. Sowohl die Einheitskonvention von 1961 (Art. 38) als auch die 1971-Konvention (Art. 20) enthalten die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Maßnahmen für „treatment“ zu ergreifen. Dabei lassen die Konventionen aber bewusst offen, welche Arten bzw. Methoden der Behandlung angeboten bzw. angewandt werden sollen. Die Staaten sind „free to choose whatever methods their medical authorities may consider most suitable“ (Commentary of the Secretary General on the Single Convention Art. 38 Rdnr. 6).

Als die beiden genannten Konventionen verhandelt und verabschiedet wurden (1961 mitÄnderungsprotokoll von 1972, 1971), war die Substitutionsbehandlung noch kaum bekannt. Sie wurde allerdings später als „treatment“ im Sinne der Konventionen anerkannt, nicht zuletzt weil die WHO entsprechende Guidelines formuliert hat. Aus der Sicht der Konventionen (und der sie ergänzenden Politischen Erklärungen) soll „treatment“ jedenfalls einem „medical purpose“ dienen und „evidencebased“ bzw. „science-based“ sein. Konkretere Vorgaben hinsichtlich der Substitutionsbehandlung, insbesondere zum take-home, enthalten die Konventionen nicht.

 2. Beide Konventionen bezeichnen den Einsatz von ’narcotic drugs‘ und ‚psychotropic substances‘ für medizinische Zwecke als ‚indispensible‘ (unabdingbar, Anm.). Ihre Verfügbarkeit soll nicht unnötig eingeschränkt (‚unduly restricted‘) werden. Dies gilt auch für die Substitutionsmedizin, was bedeutet, dass die gesetzlichen Anforderungen an die Substitutionsbehandlung nicht übertrieben hoch angesetzt werden sollten. Im internationalen Vergleich sind die derzeitigen Regelungen des deutschen Betäubungsmittelrechts über die Substitutionsbehandlung sehr detailliert und anspruchsvoll. Aus der Sicht der Konventionen ist dieser hohe Regelungsgrad nicht zwingend erforderlich.

 3. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Konventionen den Gesetzgeber auch verpflichten, Vorkehrungen zu treffen, um die Abzweigung von Betäubungsmitteln zu nichtmedizinischen Zwecken, insbesondere zum Missbrauch, zu verhindern. Es liegt auf der Hand, dass die Verlängerung des take-home-Zeitraums von 7 auf 30 Tagen ein erhöhtes Risiko der Abzweigung darstellt. Dieses Risiko muss so gering wie möglich gehalten werden, etwa durch eine enge Fassung der Voraussetzungen für langes take-home oder geeignete Kontrollmaßnahmen. Konkretere Details lassen sich jedoch aus den Konventionen nicht ableiten.“

 

Internationale Richtlinien

Eine Umfrage unter substituierenden Kolleginnen und Kollegen in unseren angrenzenden Nachbarländern zeigt, dass ohne Qualitätsverlust in der Behandlung und ohne nennenswerte Auswirkungen auf den Schwarzmarkt für Substitutionsmedikamente durchaus flexible Verordnungsregularien getroffen werden können.

Österreich: Reguläre Mitgabe: 1-7 Tage; Urlaub: max. 35 Tage/Jahr, auch im Stück möglich. Berufliche Reisen/besonders berücksichtigungswürdige Gründe: Sonderregelungen möglich und bei besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, insbesondere auch aus therapeutischen Gründen, wenn der substituierende Arzt und Amtsarzt Einigung erzielen. (H.Haltmayer, Drogenbeauftragter der Stadt Wien) (Regelungen in Überarbeitung) 

Schweiz: Betäubungsmittelrezepte sind grundsätzlich für eine Verschreibung von 1 Monat gültig, können aber auf 3 Monate verlängert werden. Dies gilt für Schmerzbehandlungen, ADHD-Behandlungen, Narkolepsie-Behandlungen, Substitutionsbehandlungen etc. Darüber hinaus gibt es von Kanton zu Kanton unterschiedliche Regelungen zur Substitutionsbehandlung. (R.Haemmig, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin)

Frankreich: 28 Tage für Buprenorphin, 14 Tage für Methadonsirup, 28 Tage für Methadonkapseln, die lediglich zuvor mit Methadonsirup bereits stabil behandelten Patienten verordnet werden dürfen. (Beatrice Stambul, Marseille/Paris, Présidente d’honneur, Association Française pour la Réduction des Risques)

Niederlande: Verordnungen von 8-10 Wochen Dauer in Portionen für eine Woche sind üblich. Die maximale Dauer eines Rezepts ist drei Monate. (RIOB Richtlijn Opiaatonderhoudsbehandeling Resultaten Scoren, 2012 p.139)

Dänemark: In der Regel sollten Substitutionsmedikamente für nicht länger als eine Woche ausgehändigt werden, Ausnahmen sind möglich. (Guidance No. 42 on Medical Treatment of Drug Abusers in Substitution Treatment for Opioid Dependence, July 1st 2008, National Board of Health; Regelungen in Überarbeitung; Jan Fouchard, Danish Health Authority)

Schweden: Bei anhaltender stabiler Behandlung sind Mitgaben von 7-28 Tagen möglich. (Socialstyrelsens föreskrifter och allmänna råd om läkemedelsassisterad behandling vid opioidberoende (HSLF-FS-2016-1); Januar 2016; Olof Blix, Jönköping)

 

Voraussetzungen für verlängerte Verordnungszeiträume bzw. TH-Regeln

Diese müssen formuliert werden in den zu überarbeitenden Richtlinien der Bundesärztekammer.

 

Konrad Isernhagen (Köln)

Hans-Günter Meyer-Thompson (Hamburg)

10.April 2016

 Literatur: Medical Maintenance: A New Model for Continuing Treatment of Socially Rehabilitated Methadone Maintenance Patients; D. Novick, H. Joseph, B. Richman, E. Salsitz, E. Pascarelli, D. Des Jarlais, V. Dole and M. Nyswander; NIDA Research Monograph 90, 1988, S. 168-176

 http://archives.drugabuse.gov/pdf/monographs/90.pdf

Achievement of take-home dose privileges is associated with better-perceived sleep and with cognitive status among methadone maintenance treatment patients; Peles E, Schreiber S, Domany Y, Sason A, Tene O, Adelson M.; World J Biol Psychiatry. 2014 Dec;15(8):620-8. doi: 10.3109/15622975.2014.897003. Epub 2014 Mar 25. PMID: 24666249. Abstract

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24666249