Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) und ihre Mitgliedsverbände haben am 07. April eine Stellungnahme zur Bedeutung der Suchtselbsthilfe veröffentlicht, die wir als HLS hier im direkten Wortlaut widergeben:
Die Verbände der Sucht-Selbsthilfe mit ihren vielzähligen, niedrigschwelligen Hilfeangeboten für suchtkranke Menschen und Angehörige unterstützen mit dieser Position das Schreiben der Drogenbeauftragten der Bundesregierung an die Gesundheitsminister und -ministerinnen der Länder.
„Vor allem aber sind Suchtkranke auf den regelmäßigen, teils täglichen Kontakt, mit dem Hilfesystem angewiesen. Sie brauchen Zugang zu niedrigschwelligen Angeboten und zu Beratung, zu medizinischer Ersthilfe oder einer Substitutionsbehandlung.“ (Daniela Ludwig, 25.03.2020)
Einen ganz bedeutenden niedrigschwelligen Zugang ermöglichen die Angebote der Sucht-Selbsthilfe. Laut Statistik der fünf Sucht-Selbsthilfe- und Abstinenzverbände Blaues Kreuz in Deutschland e.V. (BKD), Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche Bundesverband e.V. (BKE), Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe – Bundesverband e.V., Guttempler in Deutschland e.V. und Kreuzbund e.V. wurden in 2017 fast 70.000 Personen erreicht. Die Verbände unterhalten bundesweit 4.110 Gruppenangebote für Menschen mit Suchtproblemen und deren Angehörige sowie zahlreiche freie Gruppen und Selbsthilfegruppen bei den freien Wohlfahrtsverbänden. Darüber hinaus bieten der Bundesverband der Elternkreise suchtgefährdeter und suchtkranker Söhne und Töchter e.V., der Fachverband Glücksspielsucht e.V. und weitere Sucht-Selbsthilfevereine zielgruppenspezifische und regionale Gruppen an. Die Angebote der SuchtSelbsthilfe gehen aber weit über Gruppensitzungen hinaus. Seminare, Projekte, Aktionen und Veranstaltungen bieten einen geschützten Rahmen für vielfältige Aktivitäten. Alle Angebote zeichnen sich durch die Prinzipien der Freiwilligkeit, der Bedürfnisorientierung und der Selbstbestimmung aus. Die Sucht-Selbsthilfe ist mehr als eine wichtige Säule des Suchthilfesystems. Sie ist Teil der Infrastruktur in einem Gemeinwesen.
Die Auswirkungen der Ausbreitung des SAR-CoV-2 und die damit einhergehenden notwendigen Kontaktbeschränkungen stellen auch die Sucht-Selbsthilfe vor große Herausforderungen. Die regelmäßigen Treffen von Selbsthilfegruppen können nicht in gewohnter Weise durchgeführt werden und die vielzähligen Veranstaltungen und Aktivitäten, die suchtkranken Menschen und Angehörigen einen geschützten Raum bieten, mussten abgesagt oder auf ungewisse Zeit verschoben werden.
Die Corona-Pandemie erhöht die Gefahr für Suchtmittelmissbrauch: Angst vor dem Unbekannten, fehlende Unterstützung, Isolation, finanzielle Unsicherheit und Langeweile begünstigen den Griff zum Suchtmittel. Das Kontaktverbot zwingt Menschen, mehr als sonst zu Hause zu bleiben. Der Griff zur Flasche, der nächste Klick zum Online-Casino oder der Konsum illegaler Drogen scheinen verlockend. Die Gefahr für Suchtkranke, in alte Muster zu verfallen, ist groß. Umso wichtiger sind in dieser Zeit – zur Rückfallprophylaxe, Abstinenzfestigung und Überbrückung der Zeit vor Antritt einer Therapie – Ansprechpartner/-innen, zu denen Vertrauen besteht, und das Halten von Kontakten unter Quarantänebedingungen.
Die Angebote der Suchtselbsthilfe setzen in allen Phasen einer Suchtentwicklung an: vor, während, nach oder auch anstelle einer professionellen Behandlung. Gerade in der aktuellen Krise sind jedoch medizinische und therapeutische Versorgungsketten unterbrochen und abhängigkeitskranke oder -gefährdete Menschen (und auch ihre Angehörigen) suchen nach Ansprechpartner/-innen und Hilfe.
Die Vertreter/-innen der Sucht-Selbsthilfe tun alles, um suchtkranke Menschen und deren Angehörige in diesen schwierigen Zeiten nicht alleine zu lassen, z.B. indem Telefonkontakte, aber auch digitale Kontaktmöglichkeiten, beispielsweise (Video-)Chats, ausgebaut werden. Für diese neuen Wege des Austausches, der Stabilisierung und Genesung benötigt es neben einer entsprechenden sicheren Technik auch Schulungen, die zum Umgang mit dieser befähigen. Wenn die Rahmenbedingungen geschaffen werden, wird es der Sucht-Selbsthilfe nicht nur möglich sein, ihre Arbeit unter der Pandemie und nach dieser Zeit fortzusetzen, sondern ebenfalls einen großen Schritt in die Zukunft zu tun. Es ist dringend erforderlich Maßnahmen zu ergreifen, die es den Sucht-Selbsthilfeverbänden und freien Gruppen ermöglichen, ihre wichtige Arbeit fortzusetzen:
- Vertreter/-innen und berufliche Unterstützer/-innen der Sucht-Selbsthilfe müssen technisch ausgestattet sein, um digitale Angebote vorhalten zu können (Laptops, Mikrofone und kostenfreie Tools für Video- und Telefonmeetings, die den geltenden Datenschutzregelungen entsprechen).
- Einrichtung eines unbürokratischen, kurzfristigen Budgets, um u.a. Mitglieder der Verbände und autonomen Gruppen mit den nötigen technischen Möglichkeiten auszustatten, damit sie im Kontakt mit ihren Gruppen und/oder Verbänden bleiben können.
- Zuwendungen, Förderungen und Projektmittel müssen fortgezahlt werden. Dazu sind verbindliche Zusagen seitens der Fördermittelgeber notwendig.
- Die Absagen von Gruppentreffen und Veranstaltungen aufgrund der Kontaktbeschränkungen dürfen keine negativen Auswirkungen auf die Förderung haben, z.B. in Form von Rückzahlungen für das Jahr 2020.
- Anpassung der Förderrichtlinien an die aktuellen Erfordernisse.
- Eine schnelle und präzise Umsetzung des Digitalen Versorgunggesetzes in einen neuen Leitfaden der Selbsthilfe-Förderung – und eine angemessene Umsetzung durch die fördernden Krankenkassen – müssen erfolgen.
Weitere Informationen und Materialien – sowohl für Hilfesuchende als auch Fachkräfte – werden unter www.dhs.de bereitgestellt.
gez: Dr. Heribert Fleischmann (Vorstandsvorsitzender), Christina Rummel (stellv. Geschäftsführerin)