Max Nonne und das Suchtproblem damals und heute, von Dr. med. Bert Kellermann.
Zusammenfassung
Der seinerzeit berühmte Hamburger Arzt Max Nonne war nicht nur einer der Neurologie-Begründer, sondern auch – was kaum bekannt ist – einer der ersten ärztlichen Suchttherapeuten. Er konzentrierte sich auf das Kontrollverlustphänomen (Verlust der Fähigkeit zum mäßigen Alkoholkonsum) und dessen Konsequenz, die Suchtmittelabstinenz, und betonte die zentrale Bedeutung der Abstinenzgruppen. – Vor 100 Jahren gelang es durch eine effiziente Alkoholkontrollpolitik wesentlich rascher als heute, das Suchtproblem der Zeit zu bewältigen. Heute scheint man sich an das seit über 40 Jahren bestehende massive Suchtproblem unserer Zeit gewöhnt zu haben und es resignierend als unabänderlich hinzunehmen. Suchttherapeutische Frühintervention kann die gravierenden Suchtfolgeschäden vermindern und ist realisierbar. Die gewaltigen Steuereinnahmen durch den Konsum der legalen Drogen Alkohol, Nikotin und Glücksspiel müssen dafür eingesetzt werden. Die suchttherapeutischen Grundprinzipien von Nonne sind eigentlich auch heute noch gültig und hilfreich, werden jedoch von den Kostenträgern kaum beachtet.
Biografie und Äußerungen von Max Nonne
Einer der medizinhistorisch bedeutendsten und seinerzeit berühmtesten Hamburger Ärzte war Max Nonne, insbesondere als einer der „Väter“ der Neurologie. Er wurde 1861 in Hamburg geboren und besuchte hier das Johanneum, in dem er mit 18 Jahren als Jahrgangsbester das Abitur bestand. Nach Studium und ärztlichen Tätigkeiten in anderen Städten wurde er Arzt im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf, wo er später Direktor der II. Medizinischen Klinik wurde, die er in die Neurologische Klinik umwandelte. 1933 wurde er mit 72 Jahren emeritiert. Bis zu seinem 95. Lebensjahr hielt er Vorträge. 1959 starb er.
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bestand schon einmal in Deutschland eine massive Alkoholproblematik. Damals gelang es jedoch, den Alkohol-pro-Einwohner-Konsum von 10,1 Liter (1900) auf 7,5 Liter (1913) und 5,2 l (1929) zu reduzieren. In dieser Zeit entstand ein effektives Hilfenetz, welches dazu führte, dass die Alkoholproblematik erheblich zurückging, was uns – nach über 40 Jahren, in denen bei uns eine massive Suchtproblematik besteht – immer noch nicht gelungen ist (Alkohol-pro-Einwohner-Konsum 1995 11,1 l, 2005 10,0 l).
Wenig bekannt ist, dass Nonne zunächst jahrelang und sehr aktiv im Alkoholismus-Bereich ärztlich tätig war, er war einer der ersten ärztlichen Suchttherapeuten. 1901 veröffentlichte er die Schrift „Die Trinkerheilstätte Waldesruh in Reinbek bei Hamburg“, er war nebenberuflich der ärztliche Leiter dieser gemeinnützigen und offenen Einrichtung mit 32 Plätzen. „Die Behandlung beruht auf dem Prinzip der Totalabstinenz“. Geleitet wurde das Haus von einem Guttempler, d.h. von einem überzeugten Alkoholabstinenzler. „Es wird seitens der Anstalt ein besonderer Wert darauf gelegt, die Kranken davon zu überzeugen, dass der Genesene unter allen Umständen dauernd abstinent bleiben muss; es entspricht das einem heute bei den Sachkennern allgemein akzeptierten Grundsatze.“ „…, Anschluss an den Guttemplerorden bilden ferner die Mittel, die Patienten allmählich zu überzeugten Abstinenten heranzubilden.“ 51% der Patienten blieb abstinent.
1904 veröffentlichte Max Nonne, damals Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf, seine Schrift „Stellung und Aufgaben des Arztes in der Behandlung des Alkoholismus“, die die wesentlichen Merkmale des damaligen Hilfesystems darstellt und mehrere überraschend moderne Einsichten enthält. Damals arbeitete er seit 9 Jahren in der Eppendorfer sog. Alkoholistenabteilung, die etwa 600 Zugänge pro Jahr hatte. „Auf die früher viel umstrittene Frage, ob die ‚Trunksucht’ein Laster oder eine Krankheit sei, will ich hier nicht näher eingehen; die ärztliche Wissenschaft kann den Trunksüchtigen nur als Kranken bezeichnen, und die Sachkenner sind sich in dieser Auffassung jetzt jedenfalls einig. Man weiß jetzt, dass die Trunksüchtigen kranke Menschen sind, und zwar in dem Sinne krank, dass sie die Willenskraft verloren haben und unfähig sind, beim Trinken innerhalb der Grenzen zu bleiben, die mit dem Namen ‚mäßig’ noch heute allgemein bezeichnet werden. Die ‚Trunksucht’ kann jemand akquirieren, der früher ganz gesund war, (…)“ „Neben der Tuberkulose und Syphilis greift wohl keine Seuche so tief in das gesamte soziale Leben unseres Volkes ein wie die Trunksucht.“ „Seitens des Staates ist bisher nur einiges zur Bekämpfung des Alkoholismus geschehen.“
Immer wieder betont er, das zentrale Ziel müsse sein, den Patienten von der Notwendigkeit der lebenslangen totalen Alkoholabstinenz zu überzeugen. „Von vornherein muss dem Patienten klargelegt werden, dass er nur geheilt werden kann, wenn er sich zur lebenslangen Abstinenz entschließt.“ Am besten schließe er sich einem Abstinenzverband wie den Guttemplern an. Zudem „kommt es vor allem darauf an, die Willenskraft und das Selbstgefühl des Trinkers zu stärken und sein Vertrauen auf die Zukunft zu wecken.“ – Nach den Angaben von 14 Alkoholikerheilstätten berechnete er den „Prozentsatz der Geheilten auf 51,15 %“.
1911 hielt er auf dem internationalen Guttemplertag in Hamburg einen Vortrag „Ärztliche und juristische Forderungen für die Heilung Alkoholkranker“. Einleitend wies er hin auf die „außerordentliche Steigerung der Trunksucht in Deutschland“, die Zahl der Aufnahmen wegen Trunksucht habe sich verfünffacht. „Die meisten Alkoholkranken in Hamburg werden im Eppendorfer Krankenhaus behandelt. Die Abteilung für Alkoholkranke untersteht seit über 17 Jahren meiner Leitung. Ich habe in Eppendorf rund 800 Alkoholkranke pro Jahr.“ „Sie wissen, dass die vornehmste Aufgabe des Arztes ist, Krankheit zu verhüten, und gerade gegenüber dem Alkoholismus können wir in der Beziehung viel tun.“ „Was unbedingt zu fordern ist, (…), dass jeder, der einmal Symptome von chronischem Alkoholismus gezeigt hat, zur Totalabstinenz sich bekehren muss (…)“ „Es ist direkt ein Fehler, dem Kranken, der in ein Abstinenzsanatorium eintritt, seine früheres Leben, sein ‚Laster’, wie es oft mit Recht, noch öfter mit Unrecht genannt wird, vorzuhalten. Jeder Kranke, der in ein Abstinenzsanatorium eintritt, hat seine eigene komplizierte und traurige Krankheitsgeschichte und Lebensgeschichte.“ „Denn es ist eine alte Erfahrung, dass der in erster Linie als geheilt gelten kann, der aus der Defensive in die Offensive übergegangen ist, d.h. derjenige, der es sich zur Aufgabe macht, dem Alkoholismus Verfallene der Abstinenz zuzuführen.“
Für Nonne war ein Alkoholiker ein Mensch, der die Fähigkeit verloren hat, mäßig zu trinken. Dieses – wie wir es heute nennen – Kontrollverlust-Phänomen (ICD-10 Merkmal Nr. 2 des Abhängigkeitssyndroms), d. h. der Verlust der Fähigkeit zum mäßigen Suchtmittel-Konsum, war schon für Nonne das diagnostisch und therapeutisch zentrale Symptom des Alkoholismus. Die therapeutische Konsequenz dieses Symptoms war schon für ihn der konsequent suchtmittelfreie Lebensstil, die „lebenslange Totalabstinenz.“
Die rasanten Fortschritte in vielen Bereichen der somatischen Medizin verführen zu der Annahme, dies gelte für alle medizinischen Bereiche; jedenfalls für den Bereich der Suchtmedizin sind die Fortschritte relativ gering, man scheint das Suchtproblem unserer Zeit resignierend als unabänderlich hinzunehmen. Es drängt sich die Frage auf, ob die – offensichtlich erfolgreichen – suchttherapeutischen Grundeinstellungen von Nonne und seinen Zeitgenossen für uns Fortschritte bringen können, ob ein (zeitlicher) Rückschritt auch einmal ein (therapeutischer) Fortschritt sein kann.
Zum Suchtproblem unserer Zeit
Entgegen verbreiteter Meinung ist das häufigste Suchtproblem derzeit nicht die Drogenabhängigkeit, sondern die Alkoholabhängigkeit.
Seit es Suchtmittel wie Alkohol oder Opium gibt, wurden Menschen suchtkrank. Doch vermutlich noch niemals in der Menschheitsgeschichte gab es in Deutschland bzw. in Hamburg – relativ zur Bevölkerungszahl – so viele Suchtkranke wie seit über 40 Jahren, seit Mitte der 1960er Jahre. Sucht (im Sinne von Suchtkrankheit) hat massive psychische, soziale und körperliche Auswirkungen. Eingeschliffene Denkgewohnheiten – auch im ärztlichen Bereich – verhindern offenbar, dass dieses Problem nachhaltig beeinflusst wird, wie es frühere Generationen geschafft haben. Im Gesundheitsbereich ließen sich dann gewaltige Kosten sparen, von dem menschlichen Leid ganz abgesehen.
Die Suchtkrankheit ist heute eine der häufigsten schwereren Krankheiten. Sie ist als psychosozialer Störungskomplex eines der vorrangigen Probleme unserer Zeit, sowohl für mehrere Wissenschaften (Medizin, Kriminologie, Psychologie, Soziologie, Pädagogik u.a.) als auch für verschiedene Politikbereiche (Gesundheits-, Sozial-, Erziehungs-, Justiz-, Wirtschaftspolitik usw.). Obwohl sie seit zumindest der Zeit von Nonne als Krankheit gilt (allerdings erfolgte erst 1968 die höchstrichterliche Feststellung, dass Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im Sinn der damaligen Reichsversicherungsordnung ist), spielen Ärzte bisher eine eher randständige Rolle.
Das Alkoholproblem wird in der Öffentlichkeit eher bagatellisiert und ausgeblendet. Mit großem Aufwand wird der Handel mit illegalisierten Suchtmitteln bekämpft; doch das schädlichste Suchtmittel Alkohol ist legal und leicht verfügbar, sein Konsum gilt als wünschenswert. Die Allgemeinheit scheint bereit zu sein, das Alkoholproblem als (scheinbar) unbeeinflussbar anzusehen. Alkoholhaltige Getränke werden verbreitet als „Durstlöscher“ und „Stimmungsmacher“eingesetzt.
Seit über 40 Jahren ist der Alkohol-pro-Einwohner-Konsum in Deutschland auf einem extrem hohen Niveau, was jedoch die Gesundheitspolitiker bisher wenig alarmiert hat. Während er in vielen anderen Ländern erheblich zurückgegangen ist, verringerte er sich in Deutschland kaum. Weder von den gesundheits- und sozialpolitisch Verantwortlichen noch von den öffentlichen Medien wird die alarmierende Tatsache adäquat beachtet, dass der Alkoholkonsum pro Einwohner in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Die Thematik des riskanten und des süchtigen Alkoholkonsums wird in der Öffentlichkeit meist eher tabuisiert.
Einige Zitate aus dem „Jahrbuch Sucht 07“ der DHS (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen): Die Verminderung des Alkoholkonsums von 1970 bis 2003 betrug in Deutschland 0,5%, in Frankreich 42,7%, in Österreich 11,3%, in der Schweiz 15,9%. Bei 3,1% der deutschen Erwachsenen besteht eine Alkoholabhängigkeit im international definierten Sinn (Männer 4,8%, Frauen 1,3%). Außerdem betreiben 15,6% einen riskanten bzw. schädlichen Alkoholkonsum. Jährlich sterben ca. 42.000 Personen, deren Tod direkt oder indirekt in Verbindung mit Alkohol steht (Zahl der Drogentoten 2005: 1.326).Der Anteil der alkoholbedingten an allen Todesfällen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren beträgt bei Männern 25%, bei Frauen 13%. 5,5% der stationären Behandlungsfälle sind dem Konsum von Tabak und Alkohol zuzurechnen; 1997 ergaben sich hierdurch Krankenhaus-Behandlungskosten von 2,7 Mrd. Euro. „Damit ist der Alkoholkonsum nach dem Tabakrauchen und Bluthochdruck der bedeutendste gesundheitliche Risikofaktor.“ „Internationale Vergleiche belegen, dass das Potenzial von politischen Maßnahmen zur Eindämmung alkoholbezogener Schäden in Deutschland nur unzureichend genutzt wird.“
Nochmals: Alkohol ist das Hauptproblem. Heroin ist zwar die Substanz mit dem höchsten Suchtpotenzial, das Schadenspotenzial von Alkohol ist jedoch wesentlich höher: Die psychischen und körperlichen Folgeschäden eines chronischen Exzessivkonsums von (reinem und sterilem) Heroin sind wesentlich geringer als die von Alkohol; die sozialen Folgeschäden von Heroinkonsum sind zu einem erheblichen Teil durch die Illegalisierung künstlich erzeugt. Es muss deshalb unterschieden werden zwischen dem Suchtpotenzial und dem Schadenspotenzial einer Droge. Da erfahrungsgemäß bei suchtkrank gewordenen Heroinkonsumenten die Suchtmittelbindung besonders intensiv und die Suchtmittelfreiheit besonders schwer zu erreichen ist, ist es für sie eine erhebliche Verbesserung, wenn sie Opioide oder auch Opiate legal in ausreichend hoher Dosierung erhalten; denn dadurch können die Folgeschäden erheblich verringert werden. Wenn bei suchtkrank gewordenen Bürgern ein suchtmittelfreies Leben nicht zu erreichen ist, muss die Schadensminderung das vorrangige Ziel der professionellen Suchtarbeit sein. Dies ist jedoch bei Alkohol nicht möglich, da er wesentlich toxischer ist als Heroin. Substanzen, die einem alkoholabhängig gewordenen Menschen Alkohol ersetzen können und wenig toxisch sind, sind (noch) nicht bekannt; so ist eine Alkohol-Substitution nicht realisierbar.
Die wenigsten Alkoholkonsumenten sind allerdings darüber informiert, dass Alkohol – in nicht geringen Mengen konsumiert – ein starkes Gift ist. Alkohol ist eine harte Droge. Es ist von allen Suchtmitteln und von allen Genuss- und Nahrungsmitteln am toxischsten, sowohl in somatischer als auch in psychischer und sozialer Hinsicht. Deshalb ist es aus ärztlicher Sicht bedenklich, dass Bier und Wein so häufig unreflektiert konsumiert werden.
Traditionell werden die körperlichen Folgeschäden einer Sucht stärker betont als die psychischen und sozialen. Letztere treten oft früher ein und sind gravierender, auch bei Alkoholikern. Soziale Folgeschäden belasten oft auch die Familie des Betroffenen und andere. Unter den sozialen Folgeschäden von exzessivem Alkoholkonsum sind vor allem die negativen Auswirkungen auf die Familien und damit auf die psychische Entwicklung der Kinder hervorzuheben. Über 1 Mio. Kinder haben alkoholkranke Väter oder Mütter (Baumeister und Riedesser 1995). Kennzeichnend hierfür ist, dass rund 80 Prozent aller Teenager-Suizidversuche durch Alkoholprobleme ihrer Eltern bedingt sind (Bölckow 1993). 25 bis 35 Prozent aller Scheidungen sind hauptsächlich auf Alkoholabhängigkeit zurückzuführen (Kuntz 1984). Kinder von Alkoholikern haben es oft in ihrem ganzen Leben schwer.
Bei 30 Prozent aller schweren Gewalttaten (bei 42 Prozent aller Totschlagsdelikten) war der jeweilige Täter alkoholisiert (Klein 1995). Wenngleich die Alkoholisierung nicht der einzige ursächliche Faktor war, lässt sich sagen, dass die weitaus meisten dieser Gewaltdelikte nicht geschehen wären, wenn der Täter zur Tatzeit nicht unter Alkohol gestanden hätte. Dies gilt insbesondere für Streit zwischen Partnern unter Alkoholeinfluss. Unter Alkoholeinfluss werden nicht wenige Menschen gewalttätiger und reagieren auf Reizung überschießend.
Eine nachhaltige Einschränkung des Alkoholkonsums wäre auch eine intelligente Sparmaßnahme: Die alkoholbedingten Folgekosten sind etwa viermal so hoch wie die Steuereinnahmen durch Alkoholkonsum (Hüllinghorst 1995).
Primäre Suchtprävention
Der Zusammenhang zwischen der Höhe des Alkohol-pro-Einwohner-Konsums und der Anzahl der Alkoholkranken ist mehrfach bestätigt worden; je mehr Alkohol leicht verfügbar ist, desto höher ist der Konsum, und desto mehr Menschen werden alkoholabhängig. Diese Regel gilt für alle Suchtmittel. Das wusste man schon zu Nonnes Zeit und realisierte entsprechende Maßnahmen zur Verfügbarkeitseinschränkung.
Eine bewährte staatliche Maßnahme zur Verfügbarkeitseinschränkung der legalen Drogen Alkohol, Nikotin und Glücksspiel ist die Besteuerung. „Die Besteuerung von alkoholischen Getränken stellt eine der effektivsten Maßnahmen zur Verringerung der alkoholbezogenen Schäden in der Bevölkerung dar.“ „Für alkoholische Getränke insgesamt macht der europäische Vergleich deutlich, dass das gesundheitspolitische Potential von Alkoholsteuern in Deutschland nicht hinreichend genutzt wird. (…) die Besteuerung in der Bundesrepublik deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt. (…), dass nur in wenigen Ländern der Welt Alkohol so erschwinglich ist wie in Deutschland.“ (DHS 2007).
Die Steuereinnahmen durch die drei legalen Drogen betrugen 2005 in Deutschland insgesamt fast 22 Mrd. Euro (Alkohol 3,34 Mrd. Euro, Nikotin 14,25 Mrd. Euro, Glücksspiel 4,25 Mrd. Euro). Diese Steuereinnahmen durch die drei legalen Drogen sind von ihrem Sinn her gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen, in der Praxis geht es jedoch fast ausschließlich um den finanzpolitischen Zweck, die Steuermehreinnahmen. Dementsprechend werden diese Gelder auch keineswegs für gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen ausgegeben. Bezeichnenderweise wird für Wein keine und für Bier nur eine relativ geringe Steuer erhoben. Schon oft ist gefordert worden, diese Steuereinnahmen an die Krankenkassen weiterzuleiten.
Durch diese Steuern soll eigentlich als primäre Suchtprävention eine Verfügbarkeitseinschränkung der legalen Drogen erreicht werden. Denn die Erfahrungen zeigen eindeutig: je größer die Verfügbarkeit eines Suchtmittels ist, desto größer ist der Konsum, und desto größer ist die Zahl der Mitmenschen, die in eine Suchtkrankheit geraten sind. Um Steuermehreinnahmen zu erzielen, wird jedoch paradoxerweise die Verfügbarkeit bspw. beim Glücksspiel sogar ausgebaut. Ein Beispiel hierfür ist das Casinoglücksspiel in Hamburg: Hier wurde 1978 eine Spielbank eingerichtet; nach und nach expandierte sie, 2003 ist die 5. Dependance hinzugekommen; Ende 2006 wurde das Hauptcasino, das bis dahin in einer ruhigen Seitenstraße lag und einen schönen Blick auf die Alster bot, in die Innenstadt verlegt, wobei das Angebot an Glücksspielen weiter ausgebaut wurde (die Anzahl der Automaten wurde von 38 auf 140 erhöht, die Zahl der Roulettetische von 15 auf 18.). Im Internet gibt die Spielbank Hamburg groteskerweise an, sie habe den „ordnungspolitischen Auftrag“, „den natürlichen Spieltrieb zu kanalisieren und zu kontrollieren“.„… der öffentliche Auftrag, den natürlichen Spieltrieb der Menschen auch in Hamburg in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken. (…) Die Spielbank Hamburg hat in der Vergangenheit die staatlichen Anforderungen sowohl an die Professionalität und Zuverlässigkeit des Spielbetriebs wie auch an Suchtprävention und Sperrpraxis erfüllt…“ Einen „natürlichen Glücksspieltrieb“ gibt es allerdings gar nicht. Erst das Angebot produziert die Nachfrage! Diese Expansion der legalen Droge Glücksspiel in Hamburg wurde von den staatlichen Kontrollorganen nicht gebremst, sondern gefördert. Die banale Erklärung: die Spielbank Hamburg ist der größte Steuerzahler in Hamburg.
Bereits 1996 hat der 99. Deutsche Ärztetag die Bundesregierung aufgefordert, „die bereits 1992 angedachte, zweckgebundene Gesundheitsabgabe auf Tabakwaren und Alkoholika jetzt umzusetzen“ und diese Summe den Krankenkassen zur Krankenbehandlung zur Verfügung zu stellen. Vorher schon (Hüllinghorst 1994) hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen gefordert, von den Verbrauchssteuern auf Alkohol, Tabak, Medikamente und Glücksspiel mindestens 10 Prozent für Suchtprävention und Suchtkrankenhilfe zur Verfügung zu stellen.
Die legalen Drogen Alkohol, Nikotin und Glücksspiel haben eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Finanz- und wirtschaftspolitische Aspekte werden von den Entscheidungsträgern und politisch Verantwortlichen in Deutschland wesentlich mehr beachtet als gesundheits- und sozialpolitische. Es wird zu wenig bedacht, dass die positiven wirtschafts- und finanzpolitischen Folgen nur kurzfristig sind; langfristig sind die Folgeschäden durch Suchtmittelkonsum, vor allem durch den legalen und offiziell erwünschten Konsum von Alkohol sowie Casino- und Spielhallen-Glücksspielen, wesentlich gravierender und auch teurer.
Wegen der offiziellen Priorität der Wirtschafts- und Finanzpolitik vor der Gesundheits- und Sozialpolitik und durch den Lobbyismus von Interessengruppen wird zu wenig präventiv unternommen, um zu vermeiden, dass Mitmenschen durch legale Suchtmittel (Drogen) wie Alkohol oder bestimmte Glücksspiele suchtkrank werden oder andere Folgeschäden erleiden.
Sekundäre Suchtprävention durch frühe Suchttherapie
Suchtprävention ist auch durch frühe und intensive Suchttherapie möglich. Früher (und zum Teil auch heute noch) war die – hauptsächlich stationär durchgeführte und langdauernde – Suchttherapie meist relativ hochschwellig und konnte in der Regel erst im Spätstadium begonnen werden. Es galt das Prinzip, dass man einem Alkoholiker erst helfen dürfe, wenn er durch immer stärkeren, durch Suchtfolgschäden erzeugten Leidensdruck „kapituliert“ habe; ein Alkoholiker müsse erst „am Boden“ liegen, „motiviert“ sein und von selbst kommen; nur dann dürfe ein therapeutisches Hilfsangebot erfolgen. Zu diesem späten Zeitpunkt der Suchtkarriere nimmt jedoch die Therapiemotivation trotz bzw. wegen aller bereits durchlittenen negativen Konsequenzen bzw. resignativ wegen der massiven Suchtfolgeschäden oft eher ab. Zudem sind dann die Suchtfolgeschäden nicht selten irreversibel und treffen nicht nur den Suchtkranken selbst, sondern vor allem auch seine Familie. Ein Folgeschaden, der bei Alkoholabhängigkeit oft schon relativ früh auftritt, ist der Zerfall der Familie. Für die Kinder, die Schwächsten, bedeuten die damit verbundenen traumatisierenden Erlebnisse oft eine lebenslange Belastung. Durch Suchtfolgeschäden entstehen auch erhebliche Kosten, die sich durch eine frühe Therapie vermindern lassen. (Die Nikotinsucht zeigt, dass eine Sucht bereits Jahrzehnte vor dem Auftreten von Suchtfolgeschäden besteht.)
In den vergangenen etwa 20 Jahren verbreitete sich – im Gegensatz zum vorher gültigen „Tiefpunkt-Dogma“ – die Auffassung, eine Suchttherapie solle den Suchtkranken, bspw. den Alkoholiker möglichst früh erreichen, bevor gravierende und möglicherweise irreparable Folgeschäden eingetreten sind (Veltrup 1996). Es gilt also, wenigstens zu versuchen, durch ein niedrigschwelliges Therapieangebot möglichst früh, offensiv und intensiv therapeutisch zu intervenieren, um möglichst Suchtfolgeschäden zu verringern oder zu vermeiden.
Durchschnittlich 6 Prozent der Patienten in der ärztlichen Praxis sind Alkoholiker; 68 Prozent der Alkoholiker wenden sich zunächst an ihren Hausarzt (Wienberg 1995). Der Hausärzte können – bspw. durch Fragebögen zur Überprüfung des Trinkverhaltens (Schwoon häb 6/07) – den Einstieg in die frühe Suchttherapie realisieren.
Während bei anderen Krankheiten der betroffene Mensch weitgehend auf die Kunst seines Arztes angewiesen ist, kann auch der beste Arzt/Psychotherapeut einen Süchtigen nicht heilen. Ein Suchttherapeut kann jedoch einen süchtig gewordenen Menschen motivieren, seine Selbstbetrugstaktik zu erkennen, aufzugeben, seine Sucht zu akzeptieren und abstinenzmotiviert zu werden und zu bleiben.
Für eine frühe Suchttherapie ist ein klarer und eindeutiger, dabei wertneutraler, nicht diskriminierender Suchtbegriff notwendig, sodass ein Betroffener ohne zusätzliche Kränkung sich selbst als einen süchtigen Menschen erkennen kann. Nur so kann ein Süchtiger, beispielsweise ein Alkoholiker, sich selbst als süchtig gewordenen Menschen identifizieren und dies innerlich akzeptieren („Ich bin Alkoholiker“), mitsamt den Konsequenzen wie Entschluss zum suchtmittelfreien Leben. Denn da das Kontrollverlust-Phänomen ein zentrales Suchtmerkmal ist und gesichertes Erfahrungswissen darstellt, ist das sog. Abstinenzprinzip, der Entschluss zum suchtmittelfreien Leben die einzige mögliche therapeutische Konsequenz. „Die tragende Zielsetzung in der Abhängigenbehandlung ist das Gebot der Totalabstinenz“ (Lempke 1990). Der klare und einfache Suchtbegriff von Nonne erscheint hierfür gut geeignet.
Das zentrale Instrument einer Frühtherapie bei Alkoholabhängigkeit ist der Qualifizierte Entzug, der in Hamburg gut ausgebaut ist (Schwoon in häb 06/2007). Nach den vorliegenden Erfahrungen (Mann et al. 1995) ist es durchaus möglich, alkoholabhängige Patienten schon während der Entzugsphase durch ein gezieltes stationäres Therapieprogramm so zu motivieren, dass wenigstes ein Teil von ihnen früher und langzeitiger als sonst alkoholabstinent wird. Innerhalb eines stationären Aufenthalts von ca. drei Wochen wird neben dem körperlichen Entzug versucht, die Chance der Krise, in der sich der Suchtkranke in dieser Situation befindet, suchttherapeutisch zu nutzen und ihn für den suchtmittelfreien Lebensstil zu motivieren. Das Ziel ist, durch eine frühe und intensive therapeutische Intervention eine grundlegende Einstellungs- und Verhaltensänderung einzuleiten, um weitere psychische, somatische und soziale Folgeschäden möglichst zu vermeiden.
Auf jeden Fall ist nach einem qualifizierten Entzug, der durch eine Fortsetzung der Suchttherapie in einer Suchttagesklinik ausgebaut werden sollte, der langzeitige und regelmäßige Besuch von professionell angeleiteten Abstinenzgruppen und/oder Abstinentengemeinschaften dringend notwendig. Deshalb kooperieren zahlreiche US-amerikanische Suchtkliniken eng mit den Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker (AA). So ist es bezeichnend, dass in einem US-amerikanischen Sucht-Lehrbuch (Fleming und Barry 1992) im Therapie-Kapitel hauptsächlich auf das 12-Schritte-Programm der AA hingewiesen wird.
Nonne hat die Abstinenzgemeinschaften der Guttempler sehr geschätzt. Bis vor ca. 15 Jahren fanden diese Gemeinschaften, insbesondere die AA/Anonymen Alkoholiker, noch viel Zulauf; derzeit werden sie bedauerlicherweise von Suchtkranken weniger genutzt. Dadurch werden wertvolle Hilfsmöglichkeiten beeinträchtigt. Deshalb muss – auch in Hamburg – das Angebot an professionell angeleiteten (sowohl auf ein bestimmtes Suchtmittel festgelegte als auch suchtmittelübergreifende) Abstinenzgruppen dringend ausgebaut werden.
Ein unverzichtbares Angebot der Suchtarbeit ist auch die – möglichst rasche – Hilfe in Krisen- und Rückfallsituationen, vor allem durch eine ambulante Intervention oder eine Krisenintervention auf einer Therapiestation für Suchtkranke. Rückfälle sind bei der Suchtkrankheit eher die Regel als die Ausnahme und damit ein typisches Merkmal dieser Krankheit; sie dürfen deshalb nicht zu einem „therapeutischen Nihilismus“ führen. Je früher jemand nach einem Rückfall wieder „aufhören“ kann, desto besser. „Rückfälle stellen sozusagen eine normale und notwendige Durchgangsphase im Veränderungsprozess dar. Hauptaufgabe für Behandler ist es in dieser Phase, Resignation und Demoralisierung zu verhindern und den Wiedereinstieg in einen weiteren Veränderungszyklus zu ermöglichen“ (Kruse 1995).
Durch ein möglichst frühes und niedrigschwelliges suchttherapeutisches Angebot kann erreicht werden, dass Suchtfolgeschäden, die ja mehr oder minder irreversibel sein können, vermieden oder verringert werden. Dafür ist es allerdings notwendig, dass die Krankenkassen als zuständige Kostenträger die Suchtkrankheit mit ihren verschiedenen Formen – entsprechend dem Bundessozialgerichts-Urteil von 1968 – wirklich als Krankheit bzw. schwere psychische Störung anerkennen und nicht den Rentenversicherungen die Hauptlast der Suchttherapie überlassen, da sie meinen, nur für den körperlichen Entzug, nicht jedoch für die eigentliche Suchttherapie leistungspflichtig zu sein. Durch die Suchtvereinbarung zwischen den Krankenkassen und Rentenversicherungen wird eine suchttherapeutische Frühintervention weitgehend verhindert, u.a. wegen der praxisfernen Unterteilung in Entzug und Entwöhnung und laienhaften Therapieanforderungen.
Zudem wird durch die Suchtvereinbarung, in der Suchttherapie lediglich als medizinische Rehabilitation aufgefasst wird, der Einfluss der psychotherapeutischen Schulen gefördert, die behaupten, Sucht sei lediglich Symptom einer Persönlichkeitsstörung, die psychotherapeutisch behandelt werden müsse, dann sei auch die Sucht behoben. Die Psychotherapie der Sucht ist offensichtlich etwa auf dem Stand, auf dem die Somatotherapie zur Zeit von Nonne war, da die Psyche wesentlich schwieriger zu untersuchen ist als der Körper. Die derzeitigen Kostenträger einer Suchttherapie betonen jedoch die Psychotherapie unter Vernachlässigung des zentralen Therapieziels, die Motivation zum suchtmittelfreien Lebensstil. Aber auch die beste Psychotherapie bleibt ineffektiv, wenn der Suchtkranke nicht suchtmittelfrei bleibt, weil seine Abstinenzmotivation nicht genügend gefördert wurde. Denn das Kontrollverlust-Phänomen bleibt bestehen, es ist gleichsam die Suchtmittel-Konsumbremse defekt, mehr oder minder irreversibel. Süchtiges Verhalten ist ein tief eingeschliffenes Verhalten, das nur total aufgegeben werden kann. Deshalb ist Suchttherapie nach dem „Suchtmodell“ wesentlich effizienter als eine nach dem „psychotherapeutischen“ oder „Neurosenmodell“. Beim „Suchtmodell“ liegt – sehr verkürzt dargestellt – der Fokus auf dem Kontrollverlustphänomen und auf der Abstinenzmotivation bzw. auf der Rückfallvermeidung. Das „psychotherapeutische“ oder „Neurosenmodell“, das von den Kostenträgern bevorzugt wird, geht davon aus, dass Sucht lediglich „Symptom“ einer psychischen Grundstörung sei und – wie bei einer psychosomatischen Störung – von selbst verschwinden würde, wenn die Grundstörung wirksam behandelt worden ist. Unerlässlich ist die suchttherapeutische Konzentration auf das Kontrollverlustphänomen und die sich daraus ergebende Konsequenz des suchtmittelfreien Lebens.
Die aus suchttherapeutischer Sicht schädliche Haltung des psychotherapeutischen Modells, die das frühe „Aufhören“ behindert, verbreitete sich unter dem Einfluss der psychoanalytischen Schulen. Bspw. schrieb Lürßen (1982): „Süchtiges Verhalten ist also nur die Spitze eines Eisberges, hinter der sich eine schwere menschliche Pathologie verbirgt.“ Dübgen schrieb 1999: „Die Macht der Destruktivität der introjizierten ‚bösen Brust‘ beim Alkoholiker wird therapeutisch häufig genug unterschätzt. (…) Wie zu sehen war, erlebte der Alkoholiker seine Mutter in der frühen Kindheit als überwiegend böse.“ Diese psychoanalytischen, wissenschaftlich nicht belegten Vorstellungen würden bedeuten, dass nur primär schwer psychisch gestörte Menschen süchtig werden könnten. Danach könnten also alle anderen, das sind 80-90% der Bevölkerung ohne Angst vor einer Suchtgefahr harte Drogen wie Heroin etc. konsumieren. Es ist allgemein bekannt, dass auch psychisch „gesunde“ Menschen suchtkrank werden können. Feuerlein schrieb schon 1975: „Die psychoanalytischen Theorien zur Alkoholismusentstehung sind empirisch bzw. experimentell nicht bestätigt. Dies ist allerdings gar nicht zu erwarten, da die psychoanalytischen Theorien schon von ihrem Ansatz aus sich der experimentellen Nachprüfbarkeit entziehen.“ Die Konzentration der Suchtarbeit auf das Abstinenzziel i. S. von Nonne wäre nur zeitlich ein Rückschritt, in Wirklichkeit ein therapeutischer Fortschritt.
Schlussfolgerungen
Dass die bisherigen Bemühungen zur primären und sekundären Suchtprävention in qualitativer und quantitativer Hinsicht völlig ungenügend waren, ist evident angesichts des seit über vier Jahrzehnten extrem hohen prozentualen Anteils der Suchtkranken an der Bevölkerung in Deutschland, auch in Hamburg. Die Annahme, dass die derzeitige Suchtepidemie ein kulturhistorisches Phänomen unserer Zeit sei, darf nicht zu resignativer Inaktivität führen. Sucht stellt auch eine Zukunftsbedrohung dar.
Das Gebot der Zeit muss sein, die Risiken und Schäden nicht nur des illegalen, sondern vor allem des legalen Suchtmittelkonsums wesentlich intensiver zu mindern zu versuchen (harm reduction). Dies bedeutet hauptsächlich Ausweitung der primären und sekundären Suchtprävention, also möglichst zu vermeiden, dass Mitmenschen in eine Sucht geraten oder ihnen, wenn sie süchtig geworden sind, möglichst früh und intensiv bei der Bewältigung des Ausstiegs zu helfen bzw. – falls dies nicht oder noch nicht möglich ist (bspw. bei einer Heroin-Abhängigkeit) – zu versuchen, wenigstens die Suchtfolgeschäden zu verringern.
Die wirkungsvollste Primärprävention, die Verfügbarkeitseinschränkung, die bei den legalen Drogen (trotz der Schmuggelmöglichkeiten) erwiesenermaßen realisierbar ist, muss erweitert werden: „Die Besteuerung von alkoholischen Getränken stellt eine der effektivsten Maßnahmen zur Verringerung der alkoholbezogenen Schäden in der Bevölkerung dar.“ (DHS 2007). Geschichtlich erwiesen ist es auch realisierbar, das Angebot an Glücksspielen mit hohem Suchtpotenzial wirkungsvoll zu reduzieren (in den USA wird auch das Angebot über Internet blockiert); in Hamburg ist paradoxerweise mit behördlicher Unterstützung das Angebot der legalen Droge Casino-Glücksspiel sogar stark ausgeweitet worden.
Die wirkungsvollste Sekundärprävention ist die frühe und intensive Suchttherapie. Dieses Angebot muss ausgebaut werden, insbesondere durch Neugründung von professionell angeleiteten Abstinenzgruppen, die den im Qualifizierten Entzug (und in einer Suchttagsklinik) begonnenen Ausstiegsprozess und die Abstinenzmotivation unterstützen und vor allem bei den häufigen Rückfallsituationen möglichst rasch und intensiv, notfalls auch aufsuchend und offensiv, intervenieren.
Die gewaltigen Steuereinnahmen durch den Konsum der legalen Drogen Alkohol, Nikotin und Glücksspiel müssen für die Frühintervention als sekundäre Suchtprävention eingesetzt werden.
Für Nonne war ein (Alkohol-)Süchtiger ein Mensch, der die Fähigkeit verloren hat, sein Suchtmittel mäßig zu konsumieren. Eine klare, nicht diskriminierende Sucht-Definition, die auch heute gut brauchbar ist. Für Nonne war das Therapieziel die Totalabstinenz, heute sagt man: suchtmittelfreies Leben. Ein klares und realisierbares Therapieziel, das so früh wie möglich erreicht werden sollte. Durch den weiteren Ausbau des ambulanten suchttherapeutischen (nicht psychotherapeutischen oder „Reha-“) Hilfsangebots in niedrigschwelligen Suchtberatungsstellen mit Konzentration auf das Abstinenzziel lässt sich dies ermöglichen.
2007 veröffentlicht im Hamburger Ärzteblatt. Literatur beim Verfasser und in: Kellermann B (2005): SUCHT – Versuch einer pragmatischen Begriffsbestimmung für Politik und Praxis. Neuland-Verlag.