Zu der Pressemitteilung der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. hat uns ein offener Brief erreicht, den wir an dieser Stelle veröffentlichen möchten:

Sehr geehrte Hamburgische Landesstelle für Suchtfragen e.V.,
zu Ihrer Pressemitteilung vom 13.06.2016 möchten wir gern hiermit Stellung beziehen:
Wir wundern uns über Ihre übereilte und einseitige Positionierung zum Thema Drogenkonsum auf St. Pauli. Es irritiert uns, dass das Engagement so vieler interessierter AnwohnerInnen in Ihrer Pressemitteilung auf „einige“ AnwohnerInnen reduziert wird und der sogenannte „Notruf aus dem Stadtteil“ auf Betreiben eines Drogenhilfeträgers negiert wird.
Sie zitieren Jugendhilfe e.V, welcher die Ursache der veränderten Situation im Stadtteil allein darin sieht, dass die Präsenz von Dealern stark angewachsen ist. Diese vorsichtig ausgedrückt vereinfachte Darstellung ignoriert sowohl den massiven Ausbau der Event und Partymeile St. Pauli, als auch die Probleme der AnwohnerInnen, die auf der kleinen Stadtteilversammlung am 07.06.2016 klar benannt wurden. Sie ist eher dazu geeignet, Menschen in populistischer Weise zu stigmatisieren und von den eigentlichen Problemen und eigenen Fehlern abzulenken. Hier werden Ursache und Wirkung miteinander verwechselt.

Die vielen Dealer sind nur da, weil es ein offensichtlich vorhandenes Konsumbedürfnis auf Hamburgs Partymeile gibt, welches schnell und vor Ort befriedigt werden will. Selbst wenn man die Dealer ein paar Straßen weiter vertreibt, wird dies die Konsumsituation in St. Pauli kaum verändern. Spätestens, wenn der Verfolgungsdruck irgendwann nachlässt, werden die Dealer auch wieder dahin kommen, wo konsumiert wird.
Die erwähnten seriösen Zahlen, dass 99% der KonsumentInnen auf St. Pauli über die bestehenden Angebote erreicht werden, ist für uns nur schwer nachvollziehbar. Es ist fraglich, wie man die KonsumentInnen erfasst, die nicht schon bekannt sind und in der sehr begrenzten Zeit der StraSo nicht zufällig gerade in einem Hauseingang oder anderen Orten öffentlich konsumieren.
Auch wenn aus den Erfahrungen von Jugenhilfe e.V. heraus die beschriebenen Zustände nicht bestätigt werden, sollte es doch Auftrag der Drogenhilfe sein, im Quartier mit KonsumentInnen, AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden im Gespräch zu sein. Damit könnten vielseitige Lösungsansätze und Maßnahmen verwirklicht werden, die nicht nur ordnungspolitische Aspekte wahrnehmen.

Uns ist bewusst, dass es unterschiedliche Ansätze in der Drogenpolitik und –arbeit gibt. Um den Bedürfnissen der AnwohnerInnen und KonsumentInnen adäquat zu begegnen, bedarf es attraktiver, vielfältiger und quartiersnaher bzw. akzeptanzorientierter Angebote, die geeignet sind, auch nicht ausstiegswillige UserInnen in das Angebot zu integrieren.
In diesem Kontext sollte die Hamburger Drogenhilfe einen Diskurs anregen, in dem überprüft wird, ob die negativen Auswirkungen der „Konzeption wirksamer Drogenpolitik“, welche die Schillpartei seinerzeit in Hamburg verankern konnte, revidiert werden können.
Wir erleben auch, dass wirtschaftliche Aspekte in der heutigen Zeit immer maßgeblicher werden, wollen aber dafür einstehen, dass vermehrt menschliche Aspekte in der Drogenhilfe zum Tragen kommen. Wenn die Drogenhilfe möglichst viele KonsumentInnen erreichen soll und möchte, müssen die Lebenswelten und Alltagsrealitäten mit in die Planung und Umsetzung der Angebote einbezogen werden, damit z.B. Menschen, die am Nobistor in Sichtweite eines bestehenden Konsumraumes öffentlich konsumieren, für sie zugeschnittene Angebote überhaupt wahrnehmen können.
Wir fordern von der HLS, sich einer differenzierten und konstruktiven Diskussion mit allen Beteiligten, zu öffnen. Ihre einseitige Positionierung auf Hinwirken eines einzelnen Drogenhilfeträgers steht dem entgegen.
Mit freundlichen Grüßen,
Fritz Hofmann
Für die beschäftigten von Abrigado/freiraumhamburg e.V. und
die beschäftigten von Palette e.V.
mit Unterstützung von AG DROPO und dem Schildower Kreis