Anlässlich des Internationalen Tages gegen patriarchale Gewalt macht die Hamburgische Landesstelle für Suchtfragen (HLS e.V.) gemeinsam mit Frauenperspektiven e.V. auf die mangelnde Berücksichtigung traumatisierter Frauen im Suchthilfesystem aufmerksam.
Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten, jeden dritten Tag gelingt es ihm. Doch die Tötungsdelikte sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. 240.547 Menschen waren im Jahr 2022 von Gewalt im häuslichen Umfeld betroffen, davon 71,1 Prozent Frauen (Quelle: BKA 2023). Wie tief dieser Eisberg ist, bleibt unklar, da die Statistik nur angezeigte Gewalttaten erfasst. Fest steht, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts häufiger durch Partnerschaftsgewalt und sexuellen Missbrauch traumatisiert werden als Männer.
Die Symptome von Traumafolgestörungen werden von Betroffenen im Sinne einer Selbstmedikation sehr häufig mit Alkohol, Medikamenten oder anderen Substanzen mit Suchtpotential reguliert. Um den Betroffenen andere Perspektiven aufzuzeigen und damit ein suchtmittelfreies Leben zu ermöglichen, gibt es frauenspezifische Angebote in Hamburg wie die Beratungsstelle Frauenperspektiven für erwachsene Frauen und Kajal-Frauenperspektiven für junge Frauen und Mädchen. Sie bieten Frauen mit Suchtmittelkonsum und Gewalterfahrungen einen wichtigen Schutzraum.
Wie wichtig frauenspezifische Angebote sind, zeigen auch die Zahlen der Hamburger Basisdatendokumentation (BADO), einem Monitoringsystem der Hamburger Sucht- und Drogenhilfe in Kooperation mit der Sozialbehörde. Der BADO-Statusbericht 2021 fokussiert auf psychische Belastungen in der Suchthilfe. Hier zeigen sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede, wobei weibliche Abhängigkeitserkrankte stärker belastet sind: Bei Betreuungsbeginn in der Beratungsstelle Frauenperspektiven leiden 81 Prozent der Klientinnen unter erheblichen oder extremen psychischen Belastungen und damit fast doppelt so viele wie in der Gesamtgruppe der Personen im Suchthilfesystem, da sind es 47 Prozent.
Diese Belastungen gehen häufig mit mehreren komorbiden Störungen einher, die auch in der Beratung und den anschließenden Maßnahmen der Suchthilfe ein Mehr an Zeit, Vertrauen und Unterstützung erfordern. „Doch genau diese Unterstützung konnte Frauenperspektiven aufgrund der unpassenden Rahmenbedingungen nicht mehr uneingeschränkt gewährleisten“, so Antje Homann Fachliche Leitung der Ambulanten Therapie von Frauenperspektiven. Aus diesem Grund habe sich das Team entschlossen, die Ambulante Rehabilitation zum 31.12.2023 zu schließen.
„Wir sind sehr traurig über diesen Schritt und haben im Team lange darüber diskutiert, ob wir ihn verhindern können. Letztlich sind wir aber zu dem Schluss gekommen, dass wir unter den gegebenen Rahmenbedingungen kein fachlich sauberes Angebot mehr gewährleisten können. Die kompetente Betreuung der Klientinnen, aber auch die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen haben Vorrang“, erklärt Homann.
Die bestehenden Rahmenbedingungen, die Homann anspricht, werden von den Zuwendungsgebern und Leistungsträgern bestimmt. Hier wird es kurz kompliziert: Ambulante Rehabilitation ist eine therapeutische Maßnahme. Therapeutische Maßnahmen werden grundsätzlich von der Rentenversicherung oder den Krankenkassen finanziert. Darüber hinaus beteiligt sich die Hamburger Sozialbehörde im Rahmen einer Sockelfinanzierung. Damit das Angebot förderfähig ist, müssen Rahmenbedingungen erfüllt sein. Diese Rahmenbedingungen wurden zwischen den Leistungsträgern und den Trägern der Suchthilfe verhandelt. Demnach müssen zum Beispiel im Rahmen der ambulanten Rehabilitation wöchentlich gruppentherapeutische Gespräche und ergänzend dazu alle zwei Wochen ein Einzelgespräch stattfinden. Die Gruppentherapie wird i.d.R. von einer Therapeutin durchgeführt, so sehen es die finanziellen Rahmenbedingungen vor.
„Diese Rahmenbedingungen gelten für alle Träger, die in der ambulanten Suchtreha aktiv sind. Doch eine spezifische Zielgruppe, wie die der traumatisierten Frauen, braucht auch spezifische Angebote“, erklärt Susanne Herschelmann, Leiterin von Kajal-Frauenperspektiven.
„Traumatisierte Menschen weisen andere Symptome auf“, erklärt Herschelmann weiter, „die Psychotherapeut*innenkammer hat eine klare Empfehlung ausgesprochen, dass Gruppen, an denen auch traumatisierte Menschen teilnehmen, von mindestens zwei Therapeut*innen geleitet werden sollen“. Das liege einerseits an dissoziativen Symptomen einzelner Teilnehmer*innen, die auch mal spontan den Übergang aus der Gruppe in ein Einzelgespräch erfordern, andererseits wolle man mit dieser Empfehlung auch die eigenen Mitarbeiter*innen schützen. „Wir haben eine klare feministische Ausrichtung in unserer Arbeit. Das bedeutet für uns auch, der Selbstausbeutung von Therapeut*innen entgegenzuwirken“, ergänzt Nadja Borlinghaus, Leitung der Suchtberatung Frauenperspektiven.
Es ist also wichtig, auch in Hamburg Rahmenbedingungen für therapeutische Maßnahmen zu schaffen, die auf die Bedürfnisse traumatisierter Frauen abgestimmt sind. In anderen Regionen stehen zwar einzelne stationäre frauenspezifische Angebote in Einrichtungen zur Verfügung, doch am Ende bleibt das ernüchternde Fazit: Traumatisierte Frauen sind doppelt diskriminiert. Zum einen sind sie aufgrund ihres Geschlechts deutlich stärker von Gewalterfahrungen bedroht, zum anderen werden ihre Bedürfnisse im Suchthilfesystem in Norddeutschland nicht ausreichend berücksichtigt. Angesichts der nach wie vor hohen Zahlen patriarchaler Gewalt ein fatales Signal.